Interview: Rockmusiker Andy Brings predigt in Mülheim

Andy Brings ist einer der erfolgreichsten deutschen Heavy-Metal-Musiker. Seine Karriere kannte immer nur eine Richtung: steil bergauf. Bis sich der Mülheimer 2019 eingestehen musste, am Limit zu sein. Wegen eines Burnouts sagte er eine Europatournee seiner Band Double Crush Syndrome ab, zog sich komplett zurück. Am Sonntag, 21. Februar, predigte Brings in einem Gottesdienst der Reihe „Mülheimer auf der Kanzel“ der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim. Wir haben mit dem 49-Jährigen über seinen Gastauftritt und seine Krankheit gesprochen.

Herr Brings, wenn man an Heavy Metal denkt, denkt man nicht unbedingt direkt an Kirche. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Andy Brings: Ich wohne schon mein leben lang in Mülheim, habe aber als Musiker immer wo anders gearbeitet. Im vergangenen Jahr habe ich dann für die Oberbürgermeisterwahl kandidiert. Über den Wahlkampf bin ich gewissermaßen nach Hause gekommen, obwohl ich ja nie weg war. Dabei habe ich das Pfarrerehepaar Annegret und Justus Cohen kennengelernt. Wir haben uns sofort gut verstanden. Herr Cohen hat mich dann auf die Reihe „Mülheimer auf die Kanzel“ angesprochen – und die Idee, dass ich am 21. Februar predige, war geboren. Ich dachte sofort: Ja, das ist genau der nächste logische Schritt für mich, weil ich immer schon versuche, Netzwerker zu sein, Menschen über Grenzen hinaus miteinander zu verbinden anstatt zu entzweien. Ich trete gerne aus meiner Blase heraus, um dazuzulernen. Und genauso ist es mir wichtig, dass sich Menschen von meinem Tun inspiriert fühlen. Da passt die Anfrage perfekt dazu. Klar ist aber auch, dass ich nicht alles machen würde. Es muss schon zu meinen ethischen und moralischen Vorstellungen passen.

Und bei der Kirche ist das der Fall?

Andy Brings: Ja, die Kirche und ihre Vorstellungen sind sehr gut mit meinen eigenen vereinbar, da ticken wir gleich. Ich wurde zwar nicht bewusst religiös erzogen, aber auf jeden Fall mit christlichen Werten. Bei mir zu Hause herrschten immer eine große Herzlichkeit, Gerechtigkeit und Offenheit, es wurde jedem geholfen. Das hat auf mich abgefärbt. Je älter ich werde, desto mehr stelle ich auch eine Nähe zu Themen fest, mit denen sich praktizierende Christen beschäftigen, etwa Nächstenliebe.

Sind Sie denn Mitglied in der evangelischen Kirche?

Andy Brings: Ja, ich bin nach wie vor Mitglied der evangelischen Kirche, auch wenn ich das vor allem bei Beerdigungen – die leider häufiger werden – und Hochzeiten – die leider seltener werden – praktiziere. Ich besuche gerne Kirchen als Ort der Stille, Einkehr und Besinnung. Dabei gedenke ich auch der Verstorbenen. Ich bin 1985 in der Kirchengemeinde hier in Mülheim konfirmiert worden. Damals haben wir viele tolle Sachen gemacht, etwa ältere Gemeindemitglieder besucht und mit ihnen musiziert. Das habe ich nie vergessen. Meine Konfirmation stand allerdings auf der Kippe. Denn ich bin mal mit einer roten Hose und Turnschuhen in den Gottesdienst gegangen. Damit hatte der Pfarrer ein großes Problem. Warum, habe ich bis heute nicht verstanden. Pfarrer Cohen konnte mir das auch nicht erklären (lacht).

Welche Rolle spielt Kirche denn in der Heavy-Metal-Szene?

Andy Brings: Es gibt zwar einerseits die Black-Metal-Bewegung, also Satanismus durch und durch. Diese Bands haben Anfang der 90er Jahre in Skandinavien auch Kirchen angezündet. Das ist natürlich das Schlimmste und hat gar nichts mit Rock’n’Roll zu tun. Die haben da was gründlich missverstanden. Es gibt aber andererseits auch schon lange eine White-Metal-Bewegung mit christlich geprägten Bands. Die berühmteste aus Amerika ist Stryper, die schon Mitte der 80er Jahre Bibeln ins Publikum geworfen hat. Diese Bands haben sich in ihren Texten dem christlichen Glauben verschrieben.

Wie wurde es denn in der Szene aufgenommen, dass Sie in einem Gottesdienst auftreten?

Andy Brings: Ich war positiv überrascht von den Reaktionen. Als ich die Veranstaltung in den sozialen Medien geteilt habe, gab es sehr viel positives Feedback. Da habe ich gemerkt, wie viele Leute in der Kirche aktiv sind. Abgesehen davon glaube ich ja ohnehin nicht an Zufälle. Ich glaube daran, dass das Universum keine Fehler macht und einem solche Bälle dann auch genau zum richtigen Zeitpunkt zuspielt. Und so gehe ich auch die Predigt an. Ich habe die Hoffnung, ein verbindendes Element reinzubringen, ein schönes Signal zu senden.

Wissen Sie denn schon, was Sie predigen werden?

Andy Brings: Ja, das möchte ich aber noch nicht verraten. Es steht aber auf jeden Fall vollkommen im Einklang mit dem, wofür ich stehe. Musikalisch und textlich habe ich mich zum Beispiel mein ganzes Leben der Liebe verschrieben. Ich bin unterwegs im Namen der Liebe. Dazu passt auch mein aktueller Pop-Song „Raumschiff nach Hawaii“.

Sie haben sich auch der Musik verschrieben, bis Sie gemerkt haben: So geht es nicht weiter. Wie schwer war es, sich das einzugestehen?

Andy Brings: Das Schwierigste war zu erkennen, dass ein knallharter Schnitt notwendig ist und es andernfalls sein kann, dass ich das nicht mein Leben lang so machen kann, wie ich es immer vorhatte. Ich habe immer alles gegeben, auch aus der Motivation heraus, es allen zeigen zu wollen. Dabei ging es mir immer um Musik, ich habe nie Drogen genommen und auch nur wenig Alkohol konsumiert. Ich dachte immer, wenn ich mich nicht total kaputt mache, habe ich keinen Erfolg verdient. Dabei hatte ich gar keine Selbstliebe, keinen Bezug dazu, was ich mir und meinen Körper antue. Wenn ich heute zurückschaue, bin ich erschrocken, was ich mir zugemutet habe.

Wann war Ihnen klar, dass die Grenze erreicht ist?

Andy Brings: Ende 2019 habe ich endgültig gemerkt, dass der nächste Warnschuss ein Treffer sein könnte. Eine geistige und körperliche Erschöpfung war im Grunde immer der Normalzustand, den ich lange gar nicht so wahrgenommen habe. Das war eine exzessive Rastlosigkeit. Mir ging es dann aber irgendwann so schlecht, dass ich kaum die Treppe hochgekommen bin, keine Kraft zum Gitarrespielen hatte. An dem Punkt, an dem ich es dann wirklich verstanden habe, war es plötzlich ganz leicht. Eine Europatournee abzusagen, war plötzlich eine Möglichkeit. Früher wäre ich da hingerobbt, egal wie fertig ich war. Ich habe jedoch gemerkt, dass ich nicht mehr kann, nicht mehr will. Deshalb wurde die für 2020 geplante Europatournee gecancelt, ich habe meinen Vertrag aufgelöst und gesagt: „Jetzt bin ich dran.“ Dass ich mir das zugestanden habe, hat mein Leben gerettet.

Wo haben Sie Halt gefunden?

Andy Brings: Der Klassiker: bei Freunden und Familie. Ich habe mir auch professionelle Hilfe von befreundeten Profis eingeholt. Das Wichtigste war aber, dass mich meine Freundin und meine Mutter verstanden haben. Auch meine Band war für mich da. Wir sind richtig gute Freunde und nicht die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. (lacht) Es war eine schöne Erkenntnis zu wissen, dass dich da ein Netz mit doppeltem Boden aus Liebe und Freundschaft auffängt. Sie alle haben mir zugehört, mich aber auch in Ruhe gelassen und Rücksicht auf mich genommen, wenn ich etwa beim Spazierengehen nicht so schnell war. Ganz persönlich habe ich für mich entschieden, in welche Bereiche ich meine Energie stecken möchte. Ich habe auf meinen Social-Media-Kanälen aussortiert, was mich belastet hat. Habe gelernt, schlafen zu gehen, wenn ich müde bin. Und ich lebe seit einem Jahr vegan, habe jetzt ein funktionierendes Immunsystem. Ich kann auch nur jedem raten, der das Gefühl hat, an seine Grenzen zu stoßen, darüber zu reden. Das habe ich zu lange nicht gemacht.

Sie haben sich in dieser Zeit viel mit sich selbst beschäftigt. Hat dabei Glaube auch eine Rolle gespielt?

Andy Brings: Spiritualität hat schon immer eine große Rolle für mich gespielt. Mir war immer wichtig, was meine Kunst bewirkt und auslöst, auch in einem größeren Zusammenhang. Denn im Kleinen hat man ja vielleicht doch einen Auftrag und den möchte ich wahrnehmen. Ich merke aber schon jetzt im Vorfeld des Gottesdienstes, durch meine Arbeit an der Predigt und die Vorgespräche mit dem Pfarrerehepaar Cohen, dass all das noch mal um eine Komponente erweitert wird und ein neues Level erreicht. Das ist einfach etwas Schönes. Da trifft man Menschen wie die Cohens, sitzt mit ihnen am Tisch und merkt trotz des komplett unterschiedlichen Backgrounds: „Hey, hier passiert gerade etwas.“ Ich bin gespannt, wie das noch weitergeht.

Info: Online-Gottesdienst mit Andy Brings

Der Online-Gottesdienst mit Andy Brings aus der Petrikirche in Mülheim ist Teil der Reihe „Mülheimer auf der Kanzel“. Der Gottesdienst kann hier nachgeschaut werden. Direkt zur Rede von Andy Brings kommen Sie hier. Die Vereinte Evangelische Kirchengemeinde in Mülheim an der Ruhr lädt im Zuge der Gottesdienstreihe „Mülheimer auf der Kanzel“ regelmäßig Nicht-Theologinnen und -Theologen zu Kanzelreden ein.

  • 17.2.2021
  • Andreas Attinger
  • Olli Haas